Ich lausche der Stimme meines Bruders in meinem Handy. "Vater hatte ein Herzinfarkt. Ich bin mit ihm im Spital. Die Nachbarin ist bei der Mutter. Kannst Du für sie schauen?"
Gefühlt 1000nd Gedanken schwirren mir durch den Kopf. Ich darf für diese Nacht eine rasche Lösung finden, für unsere alzheimerkranke Mutter zuhause. Ich überlegte. Nach Hause zu meinen Eltern? Oh, Gott - niemals will ich mehr in diesem Haus schlafen! Sie zu mir in den Camper nehmen? Ob das geht? Zu mir nach Hause nehmen?
Ich kann in diesem Moment so sehr wahrnehmen, dass alle meine Knöpfe gedrückt werden. Widerstände. Das Verhältnis zu meiner Mutter. So anspruchsvoll. So fordernd. Oft so respektlos. Nicht gesehen. Nicht gehört.
Die Besuche der Jahren zuvor bei meinen Eltern waren schon soviel anders geworden. Ich ging hin und ging auch gerne wieder. Doch jetzt direkter Kontakt mit meinen tieferen Themen. Ich entschied, sie zu mir nach Hause zu holen.
Bei mir Zuhause mit meiner alzheimerkranken Mutter.
Sie ist etwas verwirrt, versteht nicht.
Ich mache ihr mein grosses Bett bereit. Schlafe auf dem Bettsofa.
Mehrere Mal schrecke ich auf. Meine Mutter will zur Toilette. Ich höre ihr Tapen. Ich befürchte einen Sturz und rufe: "Mama, ich komme." 1x. 2x. 3x. 4x.
Das 5. Mal sinke ich auf mein Bett. Sie ist auf der Toilette. Kommt zurück. Ich bleibe einfach hier mit ihr im Bett liegen.
Es ist sicherer. 𝟐 𝐒𝐞𝐤𝐮𝐧𝐝𝐞𝐧 𝐬𝐩ä𝐭𝐞𝐫 𝐬𝐜𝐡𝐥𝐚𝐟𝐞 𝐢𝐜𝐡 𝐭𝐢𝐞𝐟 𝐮𝐧𝐝 𝐟𝐞𝐬𝐭 𝐦𝐢𝐭 𝐦𝐞𝐢𝐧𝐞𝐫 𝐌𝐮𝐭𝐭𝐞𝐫 𝐢𝐦 𝐁𝐞𝐭𝐭. Erwache am Morgen und lächle ins Gesicht meiner Mutter.
Ich bin verwirrt. Wie war es möglich, dass ich so tief und fest neben meiner Mutter schlafen konnte? Ich, welche mir noch vorigen Nachmittags niemals vorstellen konnte, jemals im Elternhaus schlafen zu können.
Plötzlich fallen mir 1000 Schuppen von den Augen.
Ich liege neben meiner MUTTER.
Neben der Frau, welche mich 9 Monate in ihrem Körper getragen hat. Plötzlich waren da nicht nur, ich weiss, dass sie meine Mutter ist.
𝐉𝐞𝐝𝐞 𝐙𝐞𝐥𝐥𝐞 𝐡𝐚𝐭𝐭𝐞 𝐦𝐢𝐜𝐡 𝐚𝐧 𝐖𝐚𝐡𝐫𝐡𝐞𝐢𝐭 𝐞𝐫𝐢𝐧𝐧𝐞𝐫𝐭.
Alles in mir fiel zusammen. Alle Konstrukte, welche ich gegenüber meiner Mutter aufgebaut hatte.
Wie ein Kartenhaus. Ungültig. Gelöscht.
𝐃𝐚 𝐰𝐚𝐫 𝐧𝐮𝐫 𝐧𝐨𝐜𝐡 𝐖𝐚𝐡𝐫𝐡𝐞𝐢𝐭. 𝐄𝐫𝐢𝐧𝐧𝐞𝐫𝐧.
Eine unglaubliche Dankbarkeit schiesst durch mein ganzes Energiesystem.
Demut. LIEBE. Liebe in der reinsten Form.
Für meiner Mutter, welche neben mir liegt.
𝐅ü𝐫 𝐝𝐢𝐞𝐬𝐞 𝐆𝐧𝐚𝐝𝐞 𝐝𝐞𝐫 𝐄𝐫𝐢𝐧𝐧𝐞𝐫𝐮𝐧𝐠 𝐚𝐧 𝐝𝐢𝐞 𝐖𝐚𝐡𝐫𝐡𝐞𝐢𝐭.
𝐃𝐢𝐞 𝐖𝐚𝐡𝐫𝐡𝐞𝐢𝐭 - 𝐝𝐞𝐫 𝐋𝐈𝐄𝐁𝐄.
𝐒𝐢𝐞, 𝐦𝐞𝐢𝐧𝐞 𝐌𝐮𝐭𝐭𝐞𝐫 𝐮𝐧𝐝 𝐢𝐜𝐡 - 𝐝𝐢𝐞𝐬𝐞𝐬 𝐮𝐧𝐳𝐞𝐫𝐬𝐭ö𝐫𝐛𝐚𝐫𝐞 𝐁𝐚𝐧𝐝 - 𝐝𝐢𝐞 𝐕𝐞𝐫𝐛𝐢𝐧𝐝𝐮𝐧𝐠 - 𝟗 𝐌𝐨𝐧𝐚𝐭𝐞 𝐦𝐢𝐭 𝐢𝐡𝐫 𝐳𝐮𝐬𝐚𝐦𝐦𝐞𝐧. 𝟐𝟒 𝐒𝐭𝐮𝐧𝐝𝐞𝐧.
Mein ganzes Nervensystem hatte sich nach 2 Sekunden mit meiner Mutter im Bett so tief entspannt, geschlafen wie ein Baby. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Trennung war aufgelöst. Jeder meiner inneren Widerständen gegenüber irgendeiner Geschichte war transformiert.
Transformiert in die bedinungslose Liebe.
Verkörperte bedingungslose Mutterliebe als Tochter.
Und 𝐡𝐞𝐮𝐭𝐞 𝐢𝐬𝐭 𝐌𝐮𝐭𝐭𝐞𝐫𝐭𝐚𝐠. Sie ist im August letzten Jahres gestorben.
Trage ich sie in meinem Herzen.
Und heute feiere ich sie, meine Mutter im Stillen.
